Bildhauerei

Formen sprechen

„Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen.“ Johann Wolfgang von Goethe

Wir sind gewohnt zu sprechen und zu schreiben, aber die Seele scheint sich vor allem durch Bilder und Formsprache auszudrücken, z.B. im Traum oder in künstlerischen Werken. Künstlerisches Schaffen bietet die Chance, verdrängte Anteile, die wir nicht in Worte fassen können, sichtbar zu machen. Beim kreativen Gestaltungsprozess kommt es auf das freie Fließen der Intuition an. Dabei entwickelt sich ein Dialog mit den inneren Bildern, der inneren Stimme, die dann ihre Form z.B. in der Skulptur finden.

„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar.“ Paul Klee


Portraits erzählen

Was ist zuerst da, das Gesicht oder der Charakter? Beeinflusst das Gesicht den Charakter oder verhält es sich umgekehrt? Ich habe beobachtet, gezeichnet, fotografiert und modelliert, um eine Antwort darauf zu finden.
Was ich gefunden habe ist, dass ich mich selbst im Gegenüber erkenne. So sind Menschen, die ein Stück des Lebensweges mit mir gegangen sind, mein Spiegel. Auf ihren Gesichtern konnte ich die Aspekte sehen und darstellen, die mir am Herzen liegen. Die Skulpturen sind die Sinnbilder für das, was mir als wirklich wesentlich im Leben erscheint. Dieser Gestaltungsprozess hat sich über mehr als ein Jahrzehnt entwickelt, begonnen mit der Skulptur "Ahnung". Jahr für Jahr erschienen neue Gesichter, neue Aspekte rückten ins Zentrum der bewussten Wahrnehmung. Eingetaucht in den schöpferischen Prozess konnte ich die Formwerdung erleben, klar und greifbar auf der Oberfläche der Tonskulpturen - ein intensiver Dialog, mit mir und meinem Spiegel. Die Skulpturenserie "11+ Faces of the Good Life" in Bronze gegossen ist das Resultat.


3. Preis 2022 im Skulpturenpark SinnesWald


Wie entsteht eine Portraitskulptur?

Was ist typisch an einem Menschen? Es sind Gesten, Blicke und spezielle Charakterzüge. All diese Details gehören zu einer Person und beschreiben sie. Was davon kann ich überhaupt in einer Portraitbüste einfangen? Alles geht nicht. Also gezielt auswählen. Im persönlichen Gespräch achte ich auf die Mimik, bemerke Eigenarten oder mir fallen besondere Bewegungen auf. Dann forsche ich mit der Kamera vor dem Auge weiter. Während wir weitersprechen, fange ich typische Momente im Bild ein. Es braucht Geduld, es braucht Vertrauen, und es braucht Herz, damit die Seele sich zeigt.
Oft sind es Millisekunden, in denen sich die Essenz offenbart. Diese vagen, erhaschten Momente betrachten wir uns gemeinsam am Monitor, und ich arbeite eine Idee für die Skulptur aus.
Weitere Fotos folgen. Eine Fotoserie aus verschiedenen Blickwinkeln entsteht, die als Vorlage für die spätere Umsetzung dient. Ich setze das Wahrgenommene um und kreiere daraus eine Essenz in dreidimensionaler Form. Fällt Licht auf Materie, auf einen Körper, bilden sich automatisch Schatten - beides zusammen beweisen die Existenz des Seins.

In der Bildhauerei fasziniert mich also, dass die Skulptur sich immer wieder verändert, in einem anderen Licht steht, die Kontraste sich unterschiedlich vor verschiedenen Hintergründen abzeichnen. Eine Skulptur bietet dem Betrachter die Möglichkeit diverseste Betrachtungsperspektiven zu wählen. Somit entsteht ein Dialog, und das Empfinden und die Essenz bildet sich auf Grund der Begegnung von Kunst, Mensch und Natur.

Mit den ausgewählten Fotos und 40 kg Tonmasse geht es dann die nächsten Wochen weiter. Ich arbeite massiv, das heisst, ich verdichte die Tonblöcke zu einem Block. Daraus entsteht langsam die Grundform. Noch sind keine Details zu erkennen, aber die dynamische Bewegung von Innen heraus ist von Anfang an enthalten. Dies scheint mir das auch Wesentliche. Es ist der Kern der späteren Skulptur. Hier lässt sich die Seele erahnen.
Der Prozess dauert mehrere Tage, da langsam Feuchtigkeit aus dem Ton weichen muss, um Stabilität zu erreichen. Überhastetes Arbeiten führt nur dazu, dass der Ton immer wieder in sich zusammensackt. Die innere Stärke und Aufrichtigkeit gewinne ich gerade durch einen geduldigen Gestaltungsprozess.

In der Gestaltung der Grundform werden die Strukturen der Anatomie angelegt, die Proportionen, die einen Menschen wiedererkennbar machen. Das Werkstück wird immer wieder gedreht, ich schaue aus verschiedenen Perspektiven, um die Wirkung abzugleichen, Korrekturen vorzunehmen. Das Komplexe an einer Skulptur sind die vielen plastischen Höhen und Tiefen, die aus unterschiedlichen Winkeln harmonisch miteinander korrespondieren sollen. Zumindest ist Harmonie in meiner From der künstlerischen Arbeit ein elementarer Punkt. Formen fließen ineinander, Linien greifen sich gegenseitig auf. Das Entlanggleiten meiner Fingerspitzen gibt mir die nötige Rückmeldung. Ich tauche komplett ab in das haptische, sensorische Wahrnehmen. Äußere Einflüsse schalte ich durch laute, meist archaische, rhythmische Musik über die Kopfhörer aus.

Das Modellieren des Tons passiert mit Fäusten, Händen und Fingern und braucht zu Beginn viel Kraft. Durch die reale Masse entsteht ein konkretes Gegenüber und hieraus ein kreativer Dialog. Im weiteren Verlauf kommen Modellierwerkzeuge und Messer hinzu, um die Formen zu erzeugen, die mit den Fingern nicht in der Detailtiefe erreicht werden können. Je nach Temperatur muss darauf geachtet werden, den Ton aktiv feucht zu halten und bei Arbeitsunterbrechungen sogar einzuwickeln. Die Skulptur wird grösser gearbeitet als das Endprodukt sein soll. Einerseits schrumpft Ton bei der Trocknung und meine Arbeitsweise des Bildhauens erfordert, dass eine dicke Schicht vorhanden ist, aus der ich die endgültige Form herausschneide. Auch dies ist ein dynamischer Prozess, bei dem ich experimentell und oft sehr impulsiv tiefe Einschnitte vornehme oder aber - korrigierend - Tonmaterial hinzufüge und dadurch neu gestalte.

Die Feinarbeit, die Oberfläche zu strukturiert oder auch zu glätten, erfolgt wenn der Ton halbtrocken ist. Das endgültige Trocknen der massiv gearbeiteten Skulptur ist ein Vorgang der zwei drei Monate dauern kann. Die nächsten Arbeitsschritte erfolgen dann in der spezialisierten Gießerei bis nach circa einem halben Jahr die Bronze fertiggestellt ist. Abschließende Feinarbeiten des Patinieren und die Endabnahme liegen dann wieder in meinen Händen.

Zwei Fertige Bronzen nach dem selben Muster gegossen und farblich unterschiedlich patiniert
Bronzeguss durch Wachsausschmelzverfahren in der Weiterverarbeitung
Bildhauerin Anke Niemeyer in der Giesserei Petit & Gbr. Edelbrock, Photo: Christian von der Kohlen